Googles Android-Betriebssystem gibt es in der Regel nur für „Rechner“ aka Smartphones und Tablets, die auf der schlanken ARM-Architektur basieren. Auf normalen PCs, so man das denn wollte, lässt sich Android daher nicht betreiben. Dennoch versuchen Entwickler das Android-System auf die PC-Architektur x86 zu portieren. Das Android-x86-Projekt ist dabei recht erfolgreich: Aktuell gibt es bereits den ersten Release-Candidate für Android x86 6.0 auf Basis von Android 6.0 aka Marshmallow. An einen Nougat-Zweig für Android 7.0 wird bereits seit der Öffnung des Quellcodes bereits gearbeitet. Hinter dem Projekt steht das offensichtlich eine aktive Entwickler-Community.

Das Projekt ist nun aber nicht nur eine interessante Fingerübung für Entwickler, sondern hat auch ganze konkrete Vorteile: Mit Android-x86 lassen sich nicht nur herkömmliche PCs mit Android betreiben, sondern auch Smartphones und Tablets auf x86-Basis, die eigentlich für Windows entwickelt wurden. Inzwischen gibt es mit Remix OS ein Derivat von Android-x86, das sich auf einigen kommerziellen Geräten befindet, die sich ganz regulär im Laden kaufen lassen. Remix OS und Android-x86 sind eng miteinander verdrahtet, so ist Chih-Wei Huang (der Gründer des Android-Projekts für PCs) inzwischen Technikchef bei Jide, dem Unternehmen hinter Remix OS. Anders wie das „Mutterprojekt“ liegt der Quellcode, bis auf die sowieso freien Parts, jedoch nicht offen.

Das Chuwi VI10 Plus mit Remix OS 2.0

So hat nun ein Chuwi VI10 Plus mit Remix OS 2.0 den Weg zu mir als Testgerät gefunden. Das Tablet basiert auf einem Atom x5-Z8300 von Intel, den 64-Bit-Quad-Core-SoC findet man bei einer Reihe von günstigen Tablets — üblicherweise sind diese jedoch mit einem Windows-System ausgestattet. Der Chipsatz taktet mit 1,44 GHz beziehungsweise bis 1,84 GHz im Burst-Modus und gehört der Cherry-Trail-Plattform an. Im Vergleich zu konkurrierenden ARM-SoCs müsste die Rechenleistung in etwa auf Augenhöhe mit einem Snapdragon 801 liegen. Dieser findet sich in ehemaligen Top-Handys wie etwa dem Sony Xperia Z3 Plus. Im Alltag müssten von daher genügend Leistung für sämtliche Android-Apps bleiben.

Trotz Windows-Logo läuft auf dem Chuwi VI10 Android in Form von Remix OS.
Trotz Windows-Logo läuft auf dem Chuwi VI10 Android in Form von Remix OS.
Die Rückseite des Tablets besteht aus einer schlichten Aluminium-Schale.
Die Rückseite des Tablets besteht aus einer schlichten Aluminium-Schale.
MicroSD, USB Type-C, Micro-USB, Audioausgang und theoretisch ein Dockingport für eine physische Tastatur.
MicroSD, USB Type-C, Micro-USB, Audioausgang und theoretisch ein Dockingport für eine physische Tastatur.

Mit einem Displayformat von 10,8 Zoll ist das Chuwi VI10 Plus natürlich ein ordentlicher Brummer: Das Tablet misst 27,8 x 17,1 x 0,80 cm und wiegt mit 524 Gramm über ein halbes Kilo — Wer sich ein 10-Zoll-Tablet kauft, wird sich in der Regel jedoch daran nicht stören, da er wohl kaum plant das Gerät auf jedem Weg mit sich herumzutragen. Die gebotene Auflösung von 1920 x 1280 Pixel (WUXGA) ergibt auf 10,8 Zoll verteilt eine Pixeldichte von knapp 214 PPI. Es gibt Tablets die diesen Wert locker schlagen, die Darstellungsqualität des Chuwi-Tablets ist aber gut genug. Die Helligkeit lässt sich so hoch drehen, dass man den Bildschirm auch an sonnigen Tagen im Freien gut ablesen kann. Allerdings spiegel der Bildschirm kräftig, daran kranken jedoch die meisten Smartphones und Tablets, matte Displays findet man in der Regel nur an Notebooks.

Technische Daten: Chuwi VI10 Plus
Prozessor Atom x5-Z8300, Quad Core, 1.44 GHz (1,84 GHz Burst)
Arbeitsspeicher 2 GByte
Interner Speicher 32 GByte (Für Anwendungen frei: ###)
Display 10,8 Zoll IPS (1920 x 1280 Pixel, 213,66 PPI)
Wifi 802.11b/g/n
Bluetooth Support für Bluetooth LE
GPS Nicht vorhanden
Frontkamera 1,9 Megapixel (1600 x 1200 Pixel), Videoauflösung: 0,9 Megapixel (1280 x 720 Pixel)
Hauptkamera 1,9 Megapixel (1600 x 1200 Pixel), Videoauflösung: 0,9 Megapixel (1280 x 720 Pixel)
Schnittstellen USB Type-C, Micro-USB, Micro-HDMI, Audio, Docking-Station
Batterie 8400 mAh
Betriebssystem Remix OS 2.0 (auf Basis von Android 5.1.1)
Benchmarks Antutu: 64030 (3D: 16772, UX: 21277, CPU: 19830: RAM: 6151)
Preis Bei Gearbest aktuell (mit 24 Prozent Rabatt) 131,98 USD (etwa 117,50 Euro)

In der Praxis erweist sich die Leistung des Tablets als durchaus ordentlich. Die üblichen Apps lassen sich gut verwenden. Auch anspruchsvollere Anwendungen wie etwa Maps oder Google Earth laufen flüssig auf dem Tablet — Spiele klammere ich bewusst aus, hier liegen nicht wirklich meine Kompetenzen. Ab und an lassen sich jedoch ein paar Fehler in der Grafik ausmachen: So zieht etwa Chrome bei der Darstellung der Tabs leichte Schlieren über das Display. Ob das an dem im Tablet verbauten Intel-Chipsatz oder an Remix OS liegt, konnte ich bisher nicht klären. Bei anderen Anwendungen konnte ich ähnliche Effekte bisher nicht finden.

Beschränktes Fensterln mit Remix OS

Remix OS wirbt gegenüber einem klassischen Android-System mit einer Reihe von Funktionen, die Android selbst nicht bietet: So lassen sich mehrere Apps gleichzeitig in Fenstern darstellen und auf dem Desktop anordnen, so wie man es vom PC kennt. Es gibt zudem eine Taskbar, auch diese kennt man vom Desktop-Rechner. Schließt man eine Maus per Bluetooth an, gibt es wie beim PC ein Kontextmenü per Rechtsklick. Kein Wunder also, dass es Remix OS auch für klassische PCs gibt. Zudem bringt das System von Haus aus einen Dateimanager und eine verbesserte Screenshot-Funktion mit. Updates lassen sich bei Remix OS direkt über das Netzwerk einspielen: Auf meinem Testgerät funktionierte dies zuverlässig und ohne Komplikationen.

In der Praxis erinnert Remix OS dann in der Tat an einen klassischen PC mit Windows oder beispielsweise einen Linux-PC mit einer Desktopumgebung wie LXDE oder KDE. Links unten befindet sich ein Start-Button, über den sich ein Startmenü öffnen lässt. Rechts neben dem Start-Knopf haben die Entwickler eine Taskleiste integriert. In diese lassen sich Apps per Drag&Drop aus dem Startmenü ablegen, sodass man diese jederzeit mit einem Fingerzeig öffnen kann. Zudem zeigt die Leiste laufende Apps an. Die gerade aktive App wird unterstrichen, im Hintergrund Speicher schluckende Anwendungen sind mit einem Punkt markt. Tippt man so eine App an und zieht sie nach oben in den Anwendungsbereich, kann man diese gezielt beenden.

Der Desktop von Remix OS mit dem Startbutton und Taskleiste.
Der Desktop von Remix OS mit dem Startbutton und Taskleiste.
Remix OS organisiert die Apps in einem klassischen Startmenü. Andere Launcher wie Nova funktionieren nicht.
Remix OS organisiert die Apps in einem klassischen Startmenü. Andere Launcher wie Nova funktionieren nicht.
Die von Android bekannten Benachrichtigungen verfrachtet Remix OS in eine übersichtliche Seitenleiste.

Am rechten Rand des Displays finden sich dann diverse Statusinformationen wie Ladezustand, Helligkeit, WLAN und Lautstärke. Mit einem Tipp auf die Icons, lassen sich die entsprechenden Dialoge öffnen. Der Button ganz rechts in der Ecke öffnet eine Seitenleiste, in die Apps ihre Benachrichtigungen ablegen. Das Ganze Set an Anpassungen muss man mögen, wenn man ein System mit Remix OS wählt. Andere Launcher wie etwa der von Google oder der beliebte Nova Launcher lassen sich zwar aus dem Play Store installieren, allerdings passiert beim Starten: Nichts. Das System meldet beim Aufruf des Nova Launchers „No support for third party launcher“. Der hauseigene Launcher ist bei Remix OS so fest verdrahtet, dass man ihn nicht austauschen kann.

Im Gegensatz zu vielen anderen China-Tablets, findet sich bei Remix OS — wie bereits durch die Installation weiterer Apps angedeutet — der Google Play Store mitsamt dem gesamten Google Framework. Das macht das Chuwi-Gerät (fast) zu einem vollwertigen Android-Tablet — auf den gewohnten Launcher muss man jedoch verzichten. Dafür kann man nach dem Einrichten des eigenen Google-Kontos wie gewohnt Google Maps (über ein GPS-Modul verfügt das Gerät allerdings nicht), Gmail, Fotos und Co. sowie all seine Wunsch-Apps aus dem Play Store auf dem Tablet einspielen. Ich konnte keine relevante App finden, die meinten nicht mit dem Tablet kompatibel zu sein. Allerdings gibt es durchaus Einschränkungen: Nicht jede App funktioniert reibungslos auf dem Tablet, manch eine Anwendung will rein gar nicht, dazu am Ende mehr.

Anwendungen wie hier der Dateimanager und die Einstellungen öffnen sich in Fenstern.
Anwendungen wie hier der Dateimanager und die Einstellungen öffnen sich in Fenstern.
Die meisten Apps wie hier Chrome wollen allerdings nichts vom Fenstermodus von Remix OS wissen.
Die meisten Apps wie hier Chrome wollen allerdings nichts vom Fenstermodus von Remix OS wissen.

Ein weiteres Feature, das Remix OS als Alleinstellungsmerkmal bewirbt, ist seine Multitasking-Funktion. Das System erlaubt, wie vom klassischen PC bekannt, Apps in Fenstern frei arrangieren zu können. Dies funktioniert allerdings hauptsächlich nur mit den von Remix OS beigesteuerten Apps, wie etwa dem Dateimanager, der Uhr oder dem Taschenrechner. Auch manche Apps wie beispielsweise der Lightning Web Browser, der VLC Media Player oder auch Dropbox lassen sich in ein Fenster bannen — dazu kann man bei einer minimieren App vom Kopf des Displays eine Art Fensterleiste herunterziehen und von da auf die vom Computerdesktop bekannten Fensterbuttons tippen. Auch das Verschieben und Skalieren von Fenstern ist möglich, allerdings muss die App dies unterstützen.

Remix OS, da ist noch viel Luft nach oben

Alles in allem wirkt Remix OS durchaus durchdacht: Auf einem Tablet muss ein simpler Taschenrechner muss nicht zwingend den gesamten Bildschirm ausfüllen. Als kleine App im Fenster stört dieser nicht, zur Not ist er nur einen Fingerzeig weg — das haben aber auch andere Hersteller von Android-Geräten erkannt. Deutlich nützlicher wäre die Funktion allerdings, wenn man Anwendungsfenster wie bei aktuellen Desktopumgebungen an den rechten oder linken Bildschirmrand ziehen können, sodass diese dann die jeweiligen Bildschirmhälfte füllen. So muss man das Fenster mühsam mit dem Finger ausrichten, was unnötig viel Aufwand verursacht. Auch müssten sich generell alle Apps in ein Fenster bannen lassen.

Die größte Baustelle liegt allerdings in der Stabilität des Geräts. Im Test brachte beispielsweise die App zu Ebay Kleinanzeigen das komplette System während des Scrollens des öfteren zum Abstürzen, sodass das Tablet rein gar nicht mehr reagiert — Man muss das Tablet durch längeres Drücken des An/Aus-Tasters hart abschalten und dann neu starten. Noch schlimmer die Sonos-App: Diese verursacht absolut reproduzierbar einen Totalabsturz beim Starten der Anwendung. Ob das Problem nun bei den entsprechenden App-Entwicklern, bei Remix OS oder am Intel-Chipsatz zu suchen ist, lässt sich nun schwer herausfinden. Auf jeden Fall bleibt als Fazit ein bitterer Nachgeschmack, wenn ausgerechnet die persönliche „Muss-installiert-sein-App“ nicht funktioniert.

Vorheriger Artikeltmate: Der Teamviewer für das Terminal
Nächster ArtikelNeues Raspbian mit Pixel-Desktop und Chromium als Browser
Hallo, ich bin Christoph - Linux-User, Blogger und pragmatischer Fan freier Software. Wie ihr ohne Zweifel bemerkt haben solltet, schreibe ich hier über Linux im Allgemeinen, Ubuntu im Speziellen sowie Android und andere Internet-Themen. Wenn du Freude an meinen Artikel gefunden haben solltest, dann kannst du mir über Facebook, Twitter oder natürlich dem Blog folgen.

1 Kommentar

  1. Hallo Christoph,
    Klingt nicht uninteressant, ich habe mir ein bq Aquaris M10 ubuntu-edition gekauft, mich würde interessieren, was du davon hältst, ich wollte keines von diesen Datengräbern. Ich hab jetzt eine gute Möglichkeit, beim stöbern auch mal den Rechner aus zu lassen, und stattdessen es einfach bequem mit dem Tablet zu erledigen. Meinen kleinen ecafe ec800 (Netbook) kann ich nun in Rente schicken. 🙂

    Gruß, Detlef

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein